Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem gestrigen Urteil (Az.: IV ZR 76/11) verkündet, dass Rentenversicherungen und Lebensversicherungen noch heute rückabgewickelt werden können, wenn Versicherte bei Vertragsschluss nicht richtig über ihr Widerspruchsrecht informiert wurden. Der BGH setzte damit die Entscheidung des EuGH vom 19.12.2013 (Az.: C-209/12) um, der die deutsche Regelung für unwirksam erklärt hatte, nach der das Widerspruchsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der Erstprämie erlösche. Nähere Informationen dazu von unserer Fachanwältin für Versicherungsrecht, Jana Meister, die an der Verhandlung in Karlsruhe teilgenommen hat.
Worum geht es bei der Rückabwicklung von Rentenversicherungen und Lebensversicherungen?
Wurde ein Versicherungsnehmer bei Vertragsabschluss nicht oder nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt, kann er dieses Recht bis heute ausüben. Das führt dazu, dass der Vertrag unwirksam ist und er deshalb von seiner Versicherung die Rückzahlung der Prämien wegen ungerechtfertigter Bereicherung abzüglich eines ggf. schon erhaltenen Rückkaufswertes verlangen kann.
Welche Verträge sind von der Möglichkeit einer Rückabwicklung von Rentenversicherungen betroffen?
Das Urteil betrifft Altverträge von Lebensversicherungen und Rentenversicherungen nach dem Policenmodell sowie Berufsunfähigkeitsversicherungen als Zusatz zu einer Lebens- oder Rentenversicherung, die in der Zeit von 1994 und Ende 2007 abgeschlossen wurden. Das Policenmodell war bis zum Inkrafttreten des Versicherungsvertragsgesetzes am 1.1.2008 die übliche Form der Versicherer, ihre Kunden über ihre Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) und die Details des Vertrags zu informieren. Dabei wurden diese Informationen, die auch Widerrufs- und Widerspruchsregelungen enthielten, erst nach Abschluss des Vertrages übersandt. Der Versicherungsvertrag galt nach Maßgabe der Police (Versicherungsschein), der AVB und der Verbraucherinformationen als wirksam abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb der festgelegten Frist schriftlich widersprach. Bei Verträgen, die bereits vor dem 1.1.2003 gekündigt und abgerechnet wurden, kann keine Rückerstattung von Prämien mehr verlangt werden.
Rückabwicklung von Rentenversicherungen: Wann ist eine Belehrung nicht ordnungsgemäß?
Das Urteil basiert darauf, dass der Versicherte bei Vertragsschluss Ihrer Lebensversicherung oder Rentenversicherung nicht ausreichend über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde. In diesem Fall genügte die Belehrung nicht der gesetzlichen Anforderung des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. „drucktechnisch deutliche Form“. In der Rechtsprechung und Literatur gelten folgende drucktechnische Hervorhebungen als anerkannt:
- andere Drucktype
- Fett- oder Farbdruck
- Sperrschrift
- größere Schriftgröße
- Umrahmung
- farblich abgesetzter Hintergrund (z.B. graue Unterlegung)
Abgesehen von Gestaltungsfehlern können die Belehrungen auch inhaltliche Fehler beinhalten. Eine Rückabwicklung von Rentenversicherungen oder Lebensversicherungen ist dann möglich.
Was kann der Versicherte bei einer Rückabwicklung der Rentenversicherung erwarten?
Wie viel Geld der Kläger in dem vorliegenden Verfahren von seiner Versicherung bei der Rückabwicklung der Rentenversicherung oder Lebensversicherung zurückfordern kann haben die BGH-Richter offen gelassen. Diese Frage muss nun die Vorinstanz klären, die dafür folgenden „Hinweis“ erhielt: Der Kläger habe keinen uneingeschränkten Anspruch auf Rückzahlung aller Prämien. Es müsse ein „vernünftiger Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den Beteiligten hergestellt werden“. In der Verhandlung ließen die Richter dazu erkennen, dass sie sich vorstellen könnten, der Versicherung den Risikoanteil der Prämie zu belassen.
Lohnt sich eine Überprüfung meines Vertrages für die Rückabwicklung der Rentenversicherung?
Sollten Sie in der Zeit zwischen 1994 und Ende 2007 einen Lebensversicherungs- oder Rentenversicherungsvertrag abgeschlossen haben, so ist Ihnen unbedingt zu empfehlen, diesen Vertrag fachanwaltlich auf eine Rückabwicklung prüfen zu lassen. Das gilt im Übrigen auch für Kapitalanleger, die in Lebensversicherungen investiert haben und deren Kapitalanlage gescheitert bzw. weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. (Dazu in einer Extrameldung ausführlicher.)
Auch wenn z.Z. höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde, in welchem Umfang der Versicherte eine Rückzahlung seiner (verzinsten) Prämien erwarten darf, so ist doch im Ergebnis für ihn ein deutlicher Vorteil zu erwarten. Der Hinweis des BGH, den Risikoanteil der Prämie der Versicherung zu belassen, stützt diese Position, weil dieser Anteil im Regelfall nur einen Bruchteil der Prämie ausmacht.